Die Geschichte der Anhausener Juden, Heinz-Otto Zantop, Ortbürgermeister Anhausen
Vorgetragen am 09.11.2025, von Ortsbürgermeister
Heinz-Otto Zantop
Über das ganze Hochmittelalter hin lebte der überwiegende Teil der Juden Deutschlands unter kaiserlichem oder bischöflichem Schutz in den Städten (zum Beispiel Worms, Speyer, Mainz, Trier, Köln, aber auch in Koblenz), nur vereinzelt in den Dörfern.
Mit der Heraushebung des Christentums als Staatsreligion wurden die Juden zu religiösen Außenseitern minderen Rechts im christlichen Staate.
Das christliche Bürgertum drängte die Juden aus den Handwerksberufen mehr und mehr heraus. So waren die Juden in wachsendem Maße auf das Geldgeschäft und den Handel angewiesen.
Mit dem Ausbruch der Pest im Jahre 1348 begann die letzte mittelalterliche Großverfolgung mit grausamen Hinrichtungen der Juden in den Städten.
Während viele Juden nach Osteuropa flüchteten, suchte ein kleiner Teil der Überlebenden Zuflucht in den Dörfern.
Die Landesherren nahmen die Juden gerne auf; bedeuteten doch die zu zahlenden Schutzgelder und Leibzölle eine zusätzliche Einnahmequelle.Das frühste Zeugnis, das die in der Grafschaft Wied lebenden Juden hinterlassen haben, ist der Friedhof in Niederbieber. Man nimmt an, dass dort bereits im 16 Jahrhundert Gräber angelegt wurden.
Den bisher ältesten Hinweis auf jüdische Einwohner in Anhausen liefert ein Grabstein von 1725 ebenfalls auf dem jüdischen Friedhof in Niederbieber.
Mit der Übernahme der Grafschaft Wied durch das Herzogtum Nassau am 13. August 1806 wurde zwar der Leibzoll aufgehoben, die Zahlung des Judenschutzgeldes jedoch erhöht, so dass eine Gleichberechtigung der Juden noch nicht gegeben war.
Mit dem Übergang der ehemaligen Grafschaft Wied an Preußen im Jahre 1815 blieben die nassauischen Judengesetze erhalten.
Erst mit der Kommunalordnung für die Rheinprovinz vom 23. Juli 1845 erlangten die Juden als Gleichbeerbte das Bürgerrecht und wurden als Bürger zur Wahl der Gemeindeverordnung zugelassen.
Erst mit dem Bundesgesetz über die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung vom 03. Juli 1869 fanden die Bestrebungen um die Gleichstellung der Juden ihren Abschluss. Nicht zuletzt die Teilnahme jüdischer Mitbürger im deutsch-französischen Krieg und im ersten Weltkrieg führte zu gesteigertem Ansehen und Achtung.
Der Anteil der jüdischen Bevölkerung im Kirchspiel Anhausen hatte 1862 mit 78 jüdischen Bürgern, davon 50 in Anhausen seinen Höchststand. 1880 war der Anteil in Anhausen auf 35 jüdische Bürger gesunken. Die Ursache für den Rückgang der jüdischen Bevölkerung ist vermutlich darin zu ergründen, dass sie ein sehr ärmliches Leben führen musste.
Bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten waren die jüdischen Mitbürger voll im Dorfleben integriert. Das wohlwollende Miteinander der jüdischen und evangelischen Bevölkerung in Anhausen kam auch darin zum Ausdruck, dass im Falle der Beerdigung eines jüdischen Mitbürgers die Kirchenglocken läuteten und der Leichenzug über die Alteck zum jüdischen Friedhof in Niederbieber von den evangelischen Anhausenern bis zum ,,Zum Alten Galgen“ begleitet wurde.
Mit Hitlers Machtübernahme wurde die Judenverfolgung zur offiziellen Staatspolitik. Anfang September 1933 ereignete sich ein erster Vorfall gegen jüdische Bürger in Anhausen. Am 11.09.1933 berichtete der Bürgermeister des Amtes Anhausen dem Landratsamt Neuwied: Mir ist in den letzten Tagen mitgeteilt worden, dass unbekannte Täter an der Synagoge zu Anhausen Beschädigungen durch Einwerfen von Fensterscheiben und Ausheben der Eingangstür zum Synagogenvorplatz verursacht haben. Die Untersuchung ist eingeleitet.
Die 1935 verabschiedeten Gesetze zum Schutz des ,,deutschen Blutes“, allgemein als Nürnberger Rassengesetze bekannt, bildeten die rechtliche Grundlage für weitere Diskriminierungen und Verfolgungen gegen die jüdische Bevölkerung.
Am 26.08.1935 fasste der Anhausener Gemeinderat folgende Beschlüsse: 1. Volksgenossen, die noch mit Juden befreundet sind oder mit Juden geschäftlich verkehren, werden von allen Arbeiten und Aufträgen der Gemeinde ausgeschlossen. 2. Dem Juden als Volksschädling ist der Zuzug in die Gemeinde untersagt.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 (Reichspogromnacht) brannten jüdische Geschäfte, Wohnhäuser und Synagogen. In Anhausen wurde das Wohnhaus von Samuel Kahn stark beschädigt; die jüdischen Einwohner in der ehemaligen Synagoge eingesperrt.
Weitere diskriminierende Gesetze, Verordnungen und Verfügungen folgten: 1938, Verbot der Ausübung bestimmter Berufe, Verbot Autofahren, Verpflichtung zur Führung der zusätzlichen Vornamen Israel bei Männern und Sarah bei Frauen, 1939 Einzug der Rundfunkapparate, 1940 Ausgehverbot in der Nacht- und Abendstunden, Arbeitseinsatz der 18 – 55jährigen Juden, 1941 Kennzeichnung mit dem Judenstern und endgültiges Verbot der Auswanderung.
Nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion und der deutschen Kriegserklärung an die USA wurde bei der Wannseekonferenz am 20.01.1942 die Endlösung der Judenfrage beschlossen: die Tötung aller im deutschen Zugriffsbereich lebenden Juden. Die von Eichmann zusammengestellten Eisenbahnzüge rollten in die Vernichtungslager des Ostens (zum Beispiel Treblinka, Majdanek, Auschwitz oder nach Theresienstadt.
Am 27. Juli 1942 berichtete der Amtsbürgermeister: Am Samstag, den 25. Juli wurden die letzten Juden aus dem Kirchspiel Anhausen abtransportiert. Ein Pferdefuhrwerk von Dierdorf, welches die Juden aus dem dortigen Bezirk abtransportierte, ist in Meinborn vorbeigekommen und hat sie von dort mitgenommen. Damit sind keine Juden mehr im Amte Rengsdorf vorhanden.
Damit endet das jüdische Leben im Kirchspiel Anhausen
Über das endgültige Schicksal der jüdischen Familie Samuel Kahn liegen keine Nachweise vor. Jedoch wurde 1952 bekannt, dass der 15jährige Sohn Isbert im Konzentrationslager Majdanek in Polen gestorben ist.
Schade, dass es keine jüdische Gemeinschaft mehr in Anhausen gibt, ich hätte sie gerne kennengelernt.
Text: Heinz-Otto Zantop, Ortsbürgermeister Anhausen